Samstag

Internationaler Literaturwettbewerb der Stadt Mannheim 2007

Preisverleihung und Buchpräsentation 16.Februar 2008 Alte Feuerwache Mannheim


Mannheimer Morgen: >> Drei Sieger beim Literaturwettbewerb "Grenzen.überschreiten."
Die Sieger des von der Stadt Mannheim angesichts des 400-jährigen Stadtjubiläums ausgeschriebenen Literaturwettbewerbs "Grenzen. überschreiten. Migration und Europa" stehen fest. Die Frankfurter Schriftstellerin Zsuzsa Bánk, die Bilddokumentarin Sabine Trinkaus aus Alfter bei Bonn und die Rechtsanwältin Kirsten Wilczek aus Brüggen an der deutsch-niederländischen Grenze erhalten je 2000 Euro Preisgeld. Ein Sonderpreis wird verliehen durch den Verein KulturQuer – QuerKultur Rhein-Neckar an den aus Afghanistan stammenden Autor Massum Faryar. Die Preisverleihung findet am 16. Februar um 19 Uhr in der Alten Feuerwache in Mannheim statt. Insgesamt waren 562 Einsendungen aus 22 Ländern eingegangen. Aus der Rhein-Neckar-Region haben sich die Texte von Dr. Meinrad Braun und Frank Moravek (Mannheim), von Silvana Braukmann (Heidelberg) und von Dr. Rainer Wedler (Ketsch) durchgesetzt. Die 35 besten Geschichten sind in dem Lesebuch "grenzen.überschreiten" im andiamo-Verlag erschienen. (red) <<

Moderation: Sudabeh Mohafez und Klaus Servene
Musik: Veronika Todorova
Lesung: Meinrad Braun (Autor), Helga Grimme, Bettina Franke und
Michael Timmermann
Impulsvortrag: Dr. Jürgen Nielsen-Sikora

Jury-Siegesworte:

"Clandestini" von Kirsten Wilczek ist eine Geschichte, so zeitlos wie das Leid und schlicht und roh und weise wie ein Mythos. Eine archaische Kraft durchdringt die Erzählung, erhebt den Menschen, setzt ihn mitten in einen der ältesten Konflikte der Welt, den Konflikt zwischen Gottes- und Menschengesetz und macht aus einem einfachen Fischer einen Antigone-Konkurrent. Die Geschichte könnte sich genauso gut vor tausenden von Jahren abgespielt haben. Sie geschieht aber heute, sie kann auch morgen geschehen. Ihre Gültigkeit und Wirkung kann sie erst dann verlieren, wenn ein fundamental neues Bewusstsein das alte ersetzt oder aber mit dem Verschwinden des letzten Menschen auf dieser Erde.
Dimitré Dinev, Wien

Zsuzsa Bánk hat uns bereits zwei wundervolle Bücher geschenkt: 2002 ihren Roman, „Der Schwimmer“, 2005 ihren Erzählband „Heißester Sommer“. Mit der Geschichte „Zigi übers Meer“ schenkt sie uns nun wieder eine Literaturperle, die uns zugleich einen Vorgeschmack auf ihren nächsten Roman gibt. „Zigi übers Meer“ nämlich ist nicht nur eine der drei preisgekrönten Erzählungen des heutigen Abends, sondern auch ein Auszug aus Zuszsa Bánks aktuellem Romanmanuskript.

„Zigi übers Meer“ ist eine Kindheitsgeschichte, eine Liebesgeschichte, eine Zirkusgeschichte und eine Geschichte über das Warten auf einen, der in der großen weiten Welt auf Reisen sein Geld verdient, aber einmal im Jahr für wenige Wochen nach Hause kommt, um Zeit mit der Frau, Évi, und dem Kind, Anna, zu verbringen, die er liebt. Zsuzsa Bánk erzählt hier eine Migrationsgeschichte im ursprünglichen Sinne des Wortes. „Zigi übers Meer“ ist neben allem, was ich oben aufgezählt habe, auch eine Wandergeschichte, und - das macht sie so ganz besonders - sie beschreibt die Migration sozusagen andersherum, als Grenzüberschreitung vom Außen ins Innen nämlich. Das „Draußen-in-der-Welt-Sein“ ist für Zigi der Normalzustand, das Heimkehren ins Innen die Ausnahme.

In einer mit traumwandlerischer Sicherheit gesetzten, beglückend schlichten Sprache, die beim Lesen fast vergessen macht, wieviel Arbeit dazu gehört, sie zu erschaffen, läßt uns die Autorin teilhaben an der stillen Fröhlichkeit mit der Mutter und Tochter die unabwendbare, drei Viertel des Jahres überspannende Abwesenheit des Geliebten und Vaters in ihren Alltag integrieren. Das namenlos bleibende lyrische Ich der Erzählung, die kleine Freundin von Anna, die uns in das Geschehen mitnimmt, scheint in der verspielten, zärtlichen Verbundenheit von Évi, Anna und Zigi eine Art verzaubertes, vor allem aber warmes und verbindliches zu Hause zu finden.

Zsuzsa Bánk ist für ihre literarische Arbeit bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.Nach der Lektüre von „Zigi übers Meer“, liebe Zsuza, kann ich nur sagen: Es würde mich kein bißchen wundern, wenn der heute an dich verliehene Preis der Stadt Mannheim nur der erste in einer längeren Reihe von Preisen ist, die du für deinen neuen Roman noch bekommen wirst. Herzlichen Glückwunsch!
Sudabeh Mohafez, Stuttgart


„Günders Grenzen“ von Sabine Trinkaus ist die kurze Geschichte vom Postboten Iskender Günder, Mitglied im örtlichen Spielmannszug, Stoiker und Aktivist zugleich, der seine Arbeit verliert, weil er für seine erkrankte Nichte den Arbeitsplatz retten will; ausgerechnet unter Verwendung des Tschadors, dessen Erwähnung in dieser Zeit schon genügt, um besorgniserregende Klischees hervorzurufen. Wie sehr er den vielfältigen Spaltungsaufforderungen durch die deutsche Gesellschaft nachgekommen ist, bringt die Autorin auf den Punkt mit Sätzen wie: „Von TÜV-Siegel keine Spur. Es war Iskender schwer gefallen, die Post in derart unzuverlässige Behältnisse zu werfen.“ Und: „Iskender kannte die Gesetze. Und eigentlich liebte er sie sehr.“ Dass man dennoch aus unkonventionellem Interesse am Nächsten in die Fallstricke der real existierenden Konventionen geraten kann, und wie dies sukzessiv passiert, das führt uns Sabine Trinkaus mit leichter Hand und dennoch tiefgründig vor. Das scheinbar Widerspruchsvolle aber, über das wir lachen, hat einen Sinn, der über unser reines Lesevergnügen hinaus weist. Der Tanz mit den Klischees, begleitet von der Musik der Paradoxa, bewegt die Bilder in uns, belebt die Skepsis gegenüber den Klischees, indem diese aufgegriffen, angegriffen und umgedreht werden. Man kann natürlich auch sagen: Sabine Trinkaus hat sehr einfach eine gute Geschichte geschrieben, obwohl man lacht, wenn man sie liest.
Klaus Servene, Mannheim


Sonderpreis des Vereins QuerKultur-KulturQuer Rhein-Neckar (700 Euro) an Dr. Massum Faryar, der in Herat/Afghanistan geboren wurde, dort das Abitur machte und heute in Berlin als Autor und Übersetzer lebt, weil er im Rahmen des Wettbewerbs einen überzeugenden Beitrag zum Thema Migration und Europa abgeliefert hat, der beklemmend aktuell, erzählerisch versiert und für einen breiten Leserkreis spannend und zugleich informativ ist. Die Erzählung "Der Rucksack" ist Teil eines Romans mit dem Titel "Buzkashi", an dem der Autor zur Zeit arbeitet. "Buzkashi" spielen in Afghanistan Reiter mit einer toten Ziege, für Faryar ein Sinnbild für die Kriege um Afghanistan in Geschichte und Gegenwart.